Wochenmärkte: Auf kulinarischem Tauchgang


„Folgen Sie einfach den Menschen mit den Einkaufstrolleys“, antwortet mir ein lächelnder Passant, als ich ihn frage, wie ich am besten zum Neustädter Wochenmarkt komme. Es ist Samstag, ich bin hungrig und gerade in der Pfalz angekommen. Die Sonne scheint und ich bin auf der Suche nach einem Frühstück.

Text: Hendrik Haase

Hendrik Haase - der Wurstsack

war unterwegs an der Deutschen Weinstraße auf den Spuren unserer Wurstkultur. Nach seiner Ankunft zog es ihn aber erst auf den Wochenmarkt. Von seinem Marktbesuch ist hier zu lesen. Alles rund um die Pfälzer Wusrtkultur gibt es hier.

Hendrik Haase redet und schreibt über Lebensmittel. Als Foodaktivist und Botschafter der Slowfood-Jugend geht es ihm um die Zukunft unserer kulinarischen Kultur, die kleinbäuerliche Kulturlandschaft und die Menschen, die sie für uns herstellen und erhalten.   

hendrikhaase.com 

Was es auf Wochenmärkten an der Deutschen Weinstraße zu entdecken gibt

Wenn ich reise, führt mich mein erster Weg fast immer auf die Wochenmärkte der Region, in der ich gerade unterwegs bin. Nicht nur weil ich oft hungrig aus der Bahn oder dem Flugzeug steige, sondern weil man auf Märkten so wunderbar eintauchen kann in das Lebensgefühl eines Landstrichs. Das ganz besondere Terroir wird hier spürbar, erlebbar und – das Schönste – natürlich schmeckbar. Im Gewimmel eines Wochenmarktes taucht man ganz plötzlich ab in einen kleinen Ausschnitt der Gesellschaft, hört Sprachen und Dialekte, findet einen ersten lebendigen Anknüpfungspunkt zur Kultur.

In Zeiten, in denen einem in fast jeder Innenstadt die gleichen Markenreklamen anleuchten, finde ich auf Marktplätzen bei Bauern und Händlern oft noch das Echte, das Typische, das Einzigartige. Das gilt für den Markt im vietnamesischen Mekong-Delta, den Piazza Palazzo in Turin oder den Marktplatz in Neustadt an der Weinstraße. 

Auf meinem Weg durch die Altstadt folge ich jetzt nicht nur den Hausfrauen mit den noch leeren Einkaufsbeuteln, sondern auch einer Kirchenglocke. Lang kann der Weg nicht mehr sein. Hinter der nächsten Häuserecke im Schatten einer großen gotischen Stiftskirche beginnt dann auf einmal der Markttrubel. Umrahmt von vielen alten wunderschön hergerichteten Fachwerkhäusern füllen bunte Marktbuden den historischen Marktplatz. Bei einem ersten Gang durch die Gassen zwischen den geschäftigen Ständen bin ich erschlagen von der Fülle, die sich nun vor mir ausbreitet. Die Auslagen bersten vor Vielfalt: viele verschiedene Obst- und Gemüsesorten, Kräuter und Blumen. An vielen Kisten kann ich kaum vorbeigehen, ohne einmal hineinzugreifen, um die mir teils unbekannten Gewächse zu beschnuppern.

Der erste Snack auf die Hand ist eine frische Feige, die so süß schmeckt, dass ich kaum glauben kann, dass sie direkt um die Ecke vom Bauern gepflückt wurde. Einen Stand später beiße ich auf dunkelrote Himbeeren, rieche an einer frischen, violetten Artischockenblüte und finde am Ende der Gasse sogar kleine Kiwis in einer Holzkiste. Als jemand, der normalerweise die Berliner Wochenmärkte durchstreift, staune ich über diese fast mediterran anmutende Auswahl an regionalen Lebensmitteln.

Im Gespräch mit den Erzeugern erfahre ich etwas später, warum ich mit meinen Vergleich gar nicht so falsch liege. Fast 2000 Sonnenstunden pro Jahr sorgen in der Pfalz dafür, dass in einer der wärmsten Klimazonen nördlich der Alpen nicht nur einzigartige Weine zur Reife wachsen sondern auch eine ungeahnte Gemüse- und Obstvielfalt gedeiht. Der nahe Höhenzug des Haardtgebirges schützt die Hügel der Weinstraße und Rheintalniederungen wie eine Mauer vor Regen und Tiefdruckgebieten, die sich im Pfälzerwald abregnen, aber dem Riesling, der Feige und dem Blumenkohl nebenan nicht mehr viel anhaben können.

Nach einem ersten Schluck frisch gebrühtem Kaffee, den ich von der Ladefläche eines dreirädrigen Rollers bekomme, mache ich mich auf die Suche nach meinem Frühstück. Als erstes fällt mir ein fantastischer, regionaler Ziegenkäse in die Hände. Schnell finde ich auch etwas knuspriges, handgebackenes Brot und im „Saumagenparadies“ den lokalen Wurstklassiker der Pfalz „Saumaache“, der kalt wie warm wunderbar herzhaft schmeckt. Unweit des Metzgerstandes finde ich dann auch noch feine Pasteten am Stand eines Franzosen. Mir fällt auf, dass sich auf dem Wochenmarkt der frankophile Einfluss ganz selbstverständlich ins Pfälzer Lokalkolorit mischt. So probiere ich mich beim improvisierten Frühstück nicht nur durch die rustikal-regionalen Genüsse der Pfalz, sondern kann auch gleichzeitig die feinen, verspielteren Varianten aus der Elsässer Nachbarschaft kosten. Was jetzt fehlt ist eigentlich nur noch ein Glas Riesling, doch der Tag ist früh und zum Weingut geht es erst später. Der erste Hunger ist allerdings gestillt und eine Grundlage für eine ausgiebige Weinprobe auf jeden Fall gelegt.

Als nächstes steht die Suche nach den Zutaten für das Abendessen an. Jetzt sind die Augen des Kochs gefragt. Doch was soll es geben? Besonders auf Wochenmärkten rät es sich, nicht mit allzu konkreten Rezepten beim Einkauf zu hantieren. Wer nur „200 g Möhren“ laut Rezept sucht, übersieht schnell den knackfrischen Mangold, der gerade Saison hat. Wer völlig ergeben den gedruckten Anweisungen Jamie Olivers hinterherläuft, rennt schnell an den besonderen Produkten und Lebensmitteln der Region vorbei, die in keinem Rezeptbuch stehen. Meine Kochbuchsammlung steht gottseidank im Regal zuhause, so ist der Weg frei, ganz spontan zu entscheiden, was heute Abend im Topf oder in der Pfanne landet. Ich kann mich treiben lassen.



Das erste, was ich finde ist das Öl einer Wiesenpflanze, das nach frisch gemähtem Gras und ein wenig nach Löwenzahn riecht. Als mir der Öl-Händler davon etwas zum probieren auf die Hand träufelt, fühle ich mich am Gaumen an Omas Erbsensuppe erinnert. „Das ist Leindotteröl“, erfahre ich „rekultiviert hier in der Region und dann gepresst in Hauenstein im Pfälzerwald.“ Das Öl soll perfekt zu Salaten und Pellkartoffel passen. Ein Fläschchen davon landet in meiner Tasche.

Kartoffeln mit feiner gelber Schale entdecke ich zwei Stände weiter. Eine Kiste voller kleiner Drillinge lacht mich an. Perfekt für Pellkartoffeln oder noch besser „Papas Arrugadas“, die Mittelmeer-Variante mit einer feinen Salzkruste, bei der die Schale einfach dran bleibt. Das Wort „Kartoffel“ sorgt am Stand allerdings für Belustigung. „Sie meinen Grumbeere. So heißt das hier!“, verbessert mich lachend die Frau hinterm Tresen, als ich ihr meine Papiertüte reiche, in die ich viele der kleine Beeren „aus der Erde“ gesammelt habe. Sie ist nicht nur Marktfrau sondern auch Bio-Bäuerin, erfahre ich. „Das Fleisch und die Wurst – alles von unserem Bio-Hof“, erklärt sie dem neugierigen Marktbesucher stolz, „auch das Brot habe ich selbst gebacken!“ Am Ende des kurzen Plausches bekomme ich eine Einladung doch einmal dort vorbei zu schauen, wo mein Kotelett aufgewachsen ist, das ich gerade in meinem Jutebeutel verschwinden lasse.

Ein paar Stunden später stehe ich tatsächlich vor den Toren Neustadts in einer grünen Wiese und meine Füße werden von neugierigen Schnauzen begutachtet. „Schweine müssen ihren Schnüffel benutzen können“, sagt der Bauer, der neben mir im Unterhemd steht, „wie die Wildsäue, die wollen wühlen und sich verstecken.“ Bei der Mittagssonne absolut nachvollziehbar, denke ich. Als ich der Einladung der Bäuerin auf dem Wochenmarkt gefolgt bin, wusste ich noch nicht wie schnell man in der Pfalz am Ursprung seines Wochenmarkteinkaufs sein kann. Nun hüpft vor mir der Schweinebraten durch das hüfthohe Gras. „Ä Sau braucht Raufutter, Luzerne, Grumbeere, Karotte und Gras“ erklärt Bauer Bernd Naumer, kein Soja aus Übersee, Antibiotika und was heute sonst noch alles verfüttert wird. Der Akazienhof ist ein Bioland-Betrieb und Bernd Naumer ein überzeugter Bio-Schweinehalter. „Man muss die Natur einfach nur beobachte, kapiere und dann kopiere.“, ist er überzeugt.

Durch die viele Bewegung und das natürliche Futter wachsen seine biologischen Wochenmarktschweine zwar etwas langsamer als die hochgezüchteten Kollegen aus dem Supermarkt, sie sind dafür aber viel saftiger und intensiver im Geschmack. Selbstredend bleibt nach dem Braten auch viel mehr vom Kotelett übrig, da das Fleisch kein Wasser in der Pfanne verliert.  

Das Fleisch, wie auch das Gemüse und das selbstgebackene Brot sind für die Familie viel mehr als einfach nur Produkte, die man wöchentlich auf dem Markt bei den Kunden  abliefert, das merkt man schnell. In den Mitteln zum Leben, die sie hier produzieren, steckt viel Mühe, Leidenschaft und Überzeugung. „Wir kennen 20 Vitamine und 118 Elemente im Periodensystem“, erklärt mir der Bauer Bernd am Ende meines Besuches, „doch es gibt über 100.000 sekundäre Pflanzenstoffe und man geht davon aus, dass 50.000 für den Menschen wichtig sind.“ Stoffe, die man so frisch wie möglich und in großer Vielfalt genießen sollte. Welch’ besseren Ort kann es für die Suche nach solchen Lebensmitteln geben, als die Wochenmärkte in einer der größten Gemüseanbauregionen Deutschlands, der Pfalz, denke ich.

 

Auf dem Weg zurück fällt mein Blick noch einmal auf meinen heutigen Einkauf, aus dem nun in der Küche der Ferienwohnung ein fantastisches Abendessen entstehen wird. Schon den ganzen Tag nasche ich die knackigen Blättchen des Eiskrauts, deren fette, mit kleinen Wasserperlen besetzte Blätter beim Draufbeißen sofort in meinem Mund zerplatzen. Diese Pflanze findet man sonst eigentlich nur im Mittelmeerraum, auf den Kanarischen Inseln, den Azoren oder auf Madeira. Alles Orte die nach Sonne klingen. Nach Urlaub. Nach gedeckten Tischen voller kulinarischer Explosionen. Das Eiskraut habe ich heute neben vielen anderen, unerwarteten Genüssen auf dem Wochenmarkt an der Deutschen Weinstraße gefunden. Ein Ort der anderen Sehnsuchtsplätzen in nichts nachsteht und den es zu entdecken lohnt. Manchmal liegt das einfach Gute so nah, man muss nur den Sprung ins Wasser wagen und sich etwas treiben lassen.

Wochenmärkte an der Deutschen Weinstraße

  • Grünstadt: Samstag, 7–13 Uhr
  • Bad Dürkheim: Mittwoch und Samstag, 6.30–13 Uhr (April bis Oktober: jeweils am 1. Samstag Marktfrühstück mit Livemusik)
  • Haßloch: Samstag, 7–12 Uhr
  • Neustadt: Dienstag und Samstag, 7–14 Uhr (April bis Oktober: auch Donnerstag)
  • Edenkoben: Mittwoch, 8–13 Uhr
  • Landau: Dienstag und Samstag, 7–14 Uhr
  • Annweiler: Freitag 8–12 Uhr
  • Bad Bergzabern: Dienstag und Freitag 8–13 Uhr

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