Genuss inklusiv(e)


Der Süden der Pfalz punktet mit gutem Wein, Gastfreundlichkeit und authentischer lokaler Küche. In diesem kulinarischen Umfeld haben sich spannende Bio-Anbieter etabliert, einige von ihnen arbeiten in inklusiven Teams.

Text: Cordula Schulze

Wir nutzen von einem Tier nicht nur das edle Filet, sondern alles – von der Schnauze bis zum Schwanz“, erklärt Marie Estelle Dupré, Sous-Chefin im Restaurant „Freiraum“ im Stiftsgut Keysermühle. Bevor sie ins Küchenteam des inklusiv und nachhaltig geführten Restaurants kam, hatte sie konventionell gearbeitet. „Da funktioniert es so, dass der Küchenchef sich die Rezepte überlegt, und dann werden die Zutaten gekauft – ohne dass man überlegt, ob etwas gerade Saison hat. Wir machen es andersherum: Wir kaufen, was es gerade vor Ort frisch gibt, und überlegen uns dann die Rezepte dazu“, erzählt sie und ihre Augen funkeln. Auch für Gemüse gilt übrigens der Ansatz, alles zu verwerten. Aus Blumenkohl entstehen für die kleine, moderne Speisekarte dann verschiedene Gerichte:   gedünstete Röschen, Püree, zerkleinerte Bestandteile, die feinkörnig wie ein Couscous sind … Mit Gemüse kreativ umzugehen, ist eine der großen Aufgaben des Küchenteams. Denn aus Gründen des Umweltschutzes und der Nachhaltigkeit gibt es immer auch vegane und vegetarische Speisen auf der Karte. 

Mit Partnern in der Region eng zusammenarbeiten

Mit diesem nachhaltigen Ansatz verfolgt das Restaurant das Ziel, möglichst in Bio-Qualität, regional in einem Umkreis von 70 km und saisonal einzukaufen. Wenn es in der Nähe nichts gibt, kauft man in Deutschland nach den gleichen Kriterien. Kaffee oder Gewürze sollen aus Fairem Handel kommen. Ziegenkäse ist ein Sonderfall: Den kauft das Restaurantteam im nahe gelegenen Frankreich –aber nicht im Winter, denn dann werden die Ziegen nicht gemolken. Die kniffelige Planung des Einkaufs setzt auf verlässliche lokale Partner – Fischer, Metzger, Gemüsehändler und viele mehr. Und es gibt fast rund um die Uhr zu tun: Morgens geht es los mit dem Frühstück für die Hotelgäste, mittags kocht das Küchenteam für Schulen und Kindergärten. Dazu kommt Verpflegung für Tagungen, Veranstaltungen, Hochzeiten und nicht zu vergessen der abendliche Restaurantbetrieb mit rund 80 Gedecken. Eine Atmosphäre konzentrierter Professionalität mit einer guten Prise Humor und Menschlichkeit schwebt beim Besuch über den Räumen. Das Besondere am Team der Keysermühle ist, dass es inklusiv arbeitet. Menschen mit und ohne Behinderung teilen sich die Aufgaben – und es ist für alle eine Herausforderung, nach den Prinzipien von Nachhaltigkeit und respektvollem Umgang mit den Ressourcen zu wirtschaften.

 

Weiterentwicklung im Kontakt mit den Gästen

Das Ziel der Bürgerstiftung Pfalz, zu der die Keysermühle gehört, ist es unter anderem, „in den Bereichen Bildungschancen, Dorfentwicklung, Integration von Menschen mit Behinderung, Kultur und alternatives Wirtschaften nachhaltige Impulse in der Pfalz zu setzen.“ Hotel und Restaurant sind also eine gemeinnützige Tochter der Stiftung und müssen keinen Gewinn machen. „Was wir erwirtschaften, geben wir an unsere Mitarbeitenden zurück“, sagt Christiane Steinmetz, Vorstand der Stiftung. Eine von ihnen ist Service-Kraft Selina Vock. Die 19-Jährige ist schon seit mehreren Jahren mit dem Stiftsgut Keysermühle verbunden. Eine Lehrerin hatte sie zu einem Praktikum hier ermutigt. Sie sagt von sich, dass sie im Umgang mit den Gästen gelernt hat, ihre Schüchternheit zu überwinden. Mittlerweile sorgt sie mit Elan und einem Lächeln dafür, dass die Hotelgäste ein leckeres Frühstück bekommen. Serviceleiter Tony Klostermeier ermutigt sie, eine Ausbildung im Restaurantfach zu machen. Große Schritte für die junge Frau, die als so genannte Inklusionsmitarbeiterin angestellt ist.

 

Alte Techniken pflegen: Einkochen und haltbar machen

Zum Stiftsgut Keysermühle gehört ein großer Garten, der auch für Externe geöffnet ist. Es gibt einen Spielplatz, Bänke, große alte Bäume – und etwas versteckt einen Kräutergarten, Beerensträucher und Obstbäume. Was an Früchten nicht gleich verbraucht wird, kochen die Mitarbeitenden zu Chutney, Marmelade oder Sirup ein – ganz nachhaltig. Und wo kann man im Süden der Pfalz Lebensmittel in Bio-Qualität kaufen? Zahlreiche Höfe haben auf Bio-Landwirtschaft umgestellt und betreiben Hofläden. Die Lebenshilfe in Bad Dürkheim ist noch einen Schritt weiter gegangen: produziert wird auf dem eigenen Demeter-Bauernhof und einem Weingut, verkauft im Hofladen sowie in zwei eigenen Bio-Supermärkten.

 

 Kulturlandschaft und Reben pflegen

Ein echtes Vorzeigeprojekt der Lebenshilfe Bad Dürkheim – ebenfalls eine Institution, die sich der Inklusion verschrieben hat – ist der Weinbau. Bereits seit Mitte der 80er Jahre betreibt eine Werkstatt-Gruppe der Lebenshilfe hier die hohe Kunst, Reben anzubauen und daraus guten Pfälzer Wein in Bio-Qualität zu keltern. Was als Rekultivierungs-Projekt für historische Weinterrassen am Fuß der Wachtenburg südlich von Bad Dürkheim begann, hat sich bis heute zu einem 23,5 Hektar großen Weinbaubetrieb entwickelt. Er produziert in Bio-Qualität süffigen Riesling, Sekt und einige andere edle Tropfen. „Mit der Arbeit in den neu belebten Weinterrassen tragen wir auch zum Erhalt der hiesigen Kulturlandschaft bei“, betont Patrick Müller, Gruppenleiter Weinbau und selbst Winzermeister. Zum Weinbau-Team zählen 35 zu betreuende sowie sieben Fachkräfte. Die Inklusion funktioniert aber nicht nur im klassischen Sinne zwischen Menschen mit und ohne Behinderung: Hier begegnen sich Menschen mit vielen unterschiedlichen Talenten und lernen, miteinander im Team zu arbeiten. „An den zahlreichen Anfragen von anderen Einrichtungen merken wir auch, dass wir hier etwas Einzigartiges auf die Beine gestellt haben“, schmunzelt Patrick Müller.

 

Mit Demeter-Siegel: Pionierarbeit im Bio-Landbau

Jetzt im Juli und August liegen die Tanks, Pressen und Gärbehälter des Weingutes etwas einsam da, nur ein Kollege bedient die Etikettiermaschine. Der Großteil der Mitarbeitenden ist jetzt im Wingert, um die Reben zu pflegen. „Das wächst jetzt wie verrückt“, sagt Patrick Müller und man merkt ihm an, dass es ihn auch in den Fingern juckt, Hand anzulegen an den Pfälzer Reben. Seine Kolleginnen und Kollegen im Kleinsägmühlerhof haben jetzt bei strahlendem Sommerwetter ebenfalls alle Hände voll zu tun. Der Hof liegt rund 20 Autominuten von Bad Dürkheim im Tal des Eckbachs. Mit viel Liebe und Engagement haben die Öko-Pionierinnen und -Pioniere seit den 80er Jahren den ehemals konventionell betriebenen Bauernhof zu einem Betrieb mit sozialer und ökologischer Ausrichtung weiterentwickelt. Heute trägt der Lebenshilfe-Hof das anspruchsvolle Demeter-Siegel für nachhaltige Landwirtschaft und genießt Unterstützung von Privatpersonen und namhaften institutionellen Spendern.

Glückliche Schweine

Ein Hof mit Viehhaltung ist in dieser Landschaft etwas Besonderes: Während in der Region hauptsächlich Wein und Gemüse angebaut werden, genießen die 120 Rinder, davon 40 Milchkühe, 30 Mastschweine und knapp 1.000 Hühner des Kleinsägmühlerhofs Seltenheitswert und bekommen daher viel Aufmerksamkeit – von Einheimischen und Besuchern gleichermaßen. Die Schweine sind also Besuch von Menschen gewohnt und schlafen einfach weiter. Sie liegen auf Stroh und haben Auslauf ins Freie – wie alle Tiere hier. Das Grundprinzip des Hofes ist: nachhaltig und damit sparsam zu wirtschaften, alles wird verwertet. Schrumpelige Kartoffeln dienen als Futter für die Schweine. Eier, die nicht in den Verkauf gehen, werden zu Nudeln für die Gemeinschaftsverpflegung. Getreide, das nicht für die Brotproduktion verwendet werden kann, geht als Futter an die Hühner. „Wir werfen fast nichts weg – alles hat seinen Platz und Sinn“, bekräftigt Maria Burgmaier- Danner.

Neue Wirtschaftsgebäude – der Hof wächst

38 Menschen mit Behinderung arbeiten auf dem Kleinsägmühlerhof. Das Ehepaar Maria Burgmaier-Danner und Richard Danner leitet den Betrieb seit Beginn an. Dazu kommen ein halbes Dutzend Freiwillige, gelegentlich eine oder ein Azubi sowie 17 Angestellte. Sie alle teilen sich die Aufgaben, vom Melkdienst bis zur Arbeit im Stall, im Hofladen, in der Bäckerei, im Bereich Wohnen, der Milchverarbeitung, im Fahrdienst, in der Verwaltung und der Betreuung der Mitarbeitenden mit Behinderung. Nachdem kürzlich der Stall für die Kühe erweitert wurde, erfüllt er jetzt die EU-Normen für Bio-Landwirtschaft. Und schon steht wieder ein Baukran auf dem Hof: Ein neues Gebäude entsteht, das ab 2022 Bäckerei, Milchverarbeitung und Hofladen beherbergen soll. Noch schafft das Bäckereiteam täglich außer sonntags das kleine Wunder, auf nur 58 Quadratmetern Fläche rund 300 Brote zu backen. Und das Brot ist wirklich etwas Besonderes: Es hat eine wunderbare Kruste und ein würzig-saftiges Innenleben. Das neue Gebäude schafft neue Möglichkeiten, zum Beispiel, weitere pasteurisierte Milchprodukte für den Verkauf selbst herzustellen und neue Arbeitsplätze für Menschen mit Behinderungen zu schaffen.


Für die Vermarktung der selbst produzierten Lebensmittel gründete die Lebenshilfe Bad Dürkheim ihren Leprima- Bio-Supermarkt. Am Anfang standen die eigenen Produkte wie Wein und Backwaren, Milch, Eier, Wurst und Fleisch, vieles davon in Demeter-Qualität, zum Verkauf. Dazu kamen Produkte anderer lokaler Bio-Anbieter und überregionale Bio-Marken ins Sortiment. Beispielsweise kann man hier Produkte aus Solidarischer Landwirtschaft aus dem benachbarten Ungsteinkaufen. Marktleiter Moritz Knipser betont, wie wichtig das entspannte Miteinander vor Ort ist – im Team, aber auch mit den Kunden, die die persönlichen Begegnungen im Markt schätzen. Ein zweiter Standort im Zentrum der Stadt wird sehr gut angenommen, wie Moritz Knipser erzählt. Die Zeichen für hochwertige lokale Bio-Lebensmittel stehen auf Wachstum!

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