Jetzt mal ganz langsam


Text: Cordula Schulze

In den Pfälzer Heilbädern kann man die heilende und erholsame Wirkung von Wasser erleben und dabei zur Ruhe kommen.

Bad Dürkheim an einem sonnigen Wochenende im August 2022. Kaum angekommen, sehe ich den 333 Meter langen Gradierbau und nähere mich neugierig dem mächtigen hölzernen Bauwerk. Zahlreiche Menschen haben sich hier versammelt. Manche gehen ganz bewusst und langsam, atmen die salzige Luft tief ein. Man sieht ihnen an, dass sie ernst nehmen, was sie tun. Andere, wie ich, freuen sich über die frische Brise, die entsteht, wenn salzhaltiges Quellwasser über Reisigbündel läuft und zu einem feinen Dunst verwirbelt wird. Diese Luft einzuatmen, soll eine positive Wirkung auf Lunge und Bronchien haben. Mindestens aber hat man das Gefühl, am Meer zu sein und Lust, sehr tief durchzuatmen. Doch nicht alle sind der Gesundheit wegen hier.

Man hört Englisch, Französisch und andere Fremdsprachen – Familien im Urlaub. Und es erklingen fröhliche Kinderstimmen. Neben dem Gradierbau gibt es einen neu angelegten Wasserspielplatz, der sich großer Beliebtheit erfreut. Ein paar Schritte weiter im Kurpark das gleiche Bild: Jung und Alt teilen sich den grünen Raum unter schattenspendenden alten Zierkirschen und Platanen. In Ehren ergraute Damen mit Rollator sind genau so entspannt unterwegs wie Familien und Freunde. Der große Brunnen tanzt, rauscht, plätschert – man lässt sich versonnen auf der nächsten Bank nieder und die Gedanken schweifen.

Der Kurpark: Quelle der Gesundheit erhält Verjüngungskur

„Seit 2010 ist viel Kreativität und Geld in den Kurpark geflossen“, erläutert Gerrit Altes von der Touristinformation den Hintergrund der aktuellen Baumaßnahmen. Dazu gehört auch, dass die bis dato unterirdisch verlaufende Isenach seit 2014 wieder durch den Kurpark fließt – ein Geschenk auch an die Bewohnerinnen und Bewohner, die „ihren“ Bach zurückhaben. Der Kurpark erstreckt sich seit 2015 auch östlich des Gradierbaus; die denkmalgeschützte alte Brunnenhalle wird behutsam zum Informations-, Veranstaltungs- und Gastronomieort umgebaut.
Die neu errichtete Therme schließlich soll Ende 2024 fertig werden.

Nahe dem Eingang zum Gradierbau ist ein weiterer Puzzlestein der Kurangebote in Bad Dürkheim entstanden: Das neue Kneipp-Tretbecken mit zwei kunstvoll gestalteten Figuren - die keltische Heilgöttin Sirona mit der Römerin Lukulla. Die Figuren der Künstlerin Tanja Lebski zeigen, wofür die Pfalz steht - lukullische Genüsse. Gäste und Gesundheitsbewusste können ihren Armen und Beinen hier belebende Bäder gönnen; auch ein Beinbecken für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer gibt es. Über die neue Kneipp-Anlage freut sich Susanne Hißler, die Vorsitzende des örtlichen Kneipp-Vereins. Schon ihre Großeltern waren Kneipp-Anhänger.

Gesunderhaltung aus Tradition: Die Kneippsche Lehre

Bereits Mitte des 19. Jahrhunderts behandelt der Bauernsohn Sebastian Kneipp eine Lungenerkrankung erfolgreich mit kaltem Flusswasser. Das ist der Auslöser für ihn, Wasser als heilendes Element näher zu untersuchen. Bald schon geht es ihm um mehr als das Heilen – nämlich die Gesundheitsvorsorge. Deshalb ergänzt Kneipp seine Lehre um traditionelle Kräuterheilkunde und weitere Säulen. Auf Vortragsreisen und in mehreren Büchern verbreitet er sein Wissen – unter anderem auch in der Pfalz.

2015 nahm die Deutsche UNESCO-Kommission das Kneippen in die Liste des Immateriellen Kulturerbes in Deutschland auf. Zurück ins Heute: Was hat uns der Geistliche mit den gesunden Ratschlägen in unserer mittlerweile beschleunigten und digitalisierten Zeit noch zu sagen? Kann man ihn abhaken unter der Kategorie „Was Oma wusste“ oder haben seine Erkenntnisse noch heute Bedeutung für uns? „Auf jeden Fall“, sagt Susanne Hißler. Die Osteopathin stellt fest, dass die Medien zunehmend über Kneipp berichten. Und vieles, das er gesundheitsförderlich nannte, ist es heute noch. Beispiele? Sich sparsam, regional und saisonal zu ernähren, ist gesund und günstig. Sich beim Essen bewusst Zeit zu nehmen, ebenso wie für moderate Bewegung bei Ausdauersportarten. Yoga, das es zu seiner Zeit noch nicht gab, bieten viele Kneipp-Vereine an: Bewegung und Bewusstwerdung vereint Yoga zum Beispiel sehr gut. Wer sich nicht auskennt mit Kräutern, kann bei entsprechenden Führungen etwas darüber lernen und selbst einen kleinen Kräutergarten anlegen. Auch auf dem Fensterbrett lässt sich Heilsames ziehen!

Fünf Säulen der Gesundheit

Die Gesundheitslehre nach Sebastian Kneipp umfasst fünf Lebensbereiche. Jeder soll zur Gesunderhaltung und zur Harmonisierung der Lebenskräfte beitragen.

1 Wasserheilkunde:
Kälte- und Wärmereize stimulieren nachweisbar Haut, Blutgefäße, Nerven, innere Organe und das Immunsystem. Tauchen Sie ein, gießen Sie, legen Sie Wickel an!

2 Heilkräuter:
Pflanzliche Extrakte nach Kneipp tragen im Sinne traditioneller Arznei- und Heilpflanzen als Tee, Badezusatz, Tinktur oder Gewürz zur Gesundheit bei. Lernen Sie sie im Kräutergarten oder auf Ihrer Fensterbank kennen.

3 Ernährung:
Nichts ist verboten, das ist das Schöne an Kneipp, aber Genussmittel sollen Genussmittel bleiben. Zur Ernährung empfiehlt er naturbelassene Vollwertkost, möglichst fett- und kalorienarm, viel Obst und Gemüse.

4 Bewegung:
Kein Grund zur Hektik – finden Sie Ihr Tempo und Ihren Rhythmus. Ausdauersportarten wie Wandern, Walking oder Gymnastik beugen Übergewicht und Stoffwechselkrankheiten vor.

5 Lebensgestaltung:
Was erstmal sperrig klingt, ist eines der großen Themen unserer Zeit: Anspannung und Entspannung in ein gesundes, gutes Maß zu bringen, ist das Ziel. „Innere Einkehr und Ruhe” hieß es bei Kneipp, heute streben wir eine ausgewogene Work-Life-Balance an.

Bad Bergzabern: Lange Gesundheitstradition mit Kneipp

Mit diesen guten Ideen im Kopf reise ich weiter ins Kneipp-Heilbad Bad Bergzabern. Die Sonne scheint; ich fahre gemütlich durch die Weinberge, die hier eine sanfte Landschaft bilden. Der Ort ist eingefasst in bewaldete Hügel und hat, ebenso wie Bad Dürkheim, eine schon längere Tradition als Ort der Kuren und der Heilkunde. Schon Ende des 19. Jahrhunderts entstehen hier erste Kureinrichtungen, 1894 gründet der Hydrotherapeut Eduard Tischberger eine Kaltwasserheilanstalt – Vorgängerin der späteren Kneipp-Kureinrichtungen. Auch Sebastian Kneipp hört vom Ort und besucht ihn auf einer Vortragsreise. Was er sieht, gefällt ihm. Er lobt eloquent: „Hätte ich in Wörishofen nicht begonnen, hier hätte ich es tun müssen.“ Bis heute prägt das Element Wasser Bad Bergzabern und seine Gesundheitseinrichtungen: In den 20er- und 30er-Jahren werden Heilquellen erschlossen, nach dem zweiten Weltkrieg boomt das Kneippen. Erst ab den 70er-Jahren interessieren sich die Kurgäste zunehmend für das damals neue Thermalbad.

Kneipps wertvolles Erbe lebt fort, unter anderem durch das Engagement von Dr. Wieland Hassinger. Der Bäderarzt hat seit 40 Jahren seine Praxis in seiner Heimatstadt. Er ist außerdem Vorsitzender des örtlichen Kneipp-Vereins und integriert Kneipp-Anwendungen in seine tägliche Arbeit mit den Patientinnen und Patienten. Er sieht eine große Relevanz der kneippschen Lehre für die Gesundheitsprobleme von heute. Auch wenn der Pfarrer in Zeiten der einsetzenden industriellen Revolution tätig war, so gebe es doch Parallelen, wie Wieland Hassinger ausführt: „Die Wasseranwendungen sind ja nur ein Teil der fünf Elemente umfassenden Lehre von Kneipp. Und genau so einen ganzheitlichen Ansatz brauchen wir, denn wir bewegen uns zu wenig, ernähren uns oft schlecht und kommen vor lauter Stress nicht mehr zu uns selbst.“ Kneipp findet Antworten und Rat auf all diese zivilisatorischen Gesundheitsverfehlungen.

Für ein gesundheitsbewusstes Leben ohne Verbote

Wichtig dabei: „Kneipp verbietet nichts, sondern erteilt Ratschläge, die alle Menschen ganz oder zumindest in Teilen umsetzen können. Das steigert die Befindlichkeit“, führt der Internist aus. Er ergänzt: Seit 2007 gibt es in Bad Bergzabern einen staatlich anerkannten
Kneipp-Kindergarten, in dem Kinder schon früh einen gesunden Lebenswandel kennenlernen.

Im Kurpark plätschert neuerdings ein freigelegter Bach, der renaturierte Erlenbach. Damit ergänzt er die in den 50er-Jahren angelegte Grünfläche um einen weiteren Ort, an dem die Besucherinnen und Besucher Wasser in der Natur erleben können. Kneipp-Freunde kommen hier zudem auf ihre Kosten, denn es gibt einen rund 5,5 Kilometer langen thematischen Lehrpfad, der an einem neu angelegten Kräutergarten und dem klassischen Wassertretbecken entlangführt und schließlich auf die Hügel oberhalb der Stadt führt. Bewegungsstationen unterstützen bei einer bewegten Runde, bevor man wieder in den Ort kommt und auch die genussreichen Aspekte der Pfalz erkunden geht.

Die Pfalz: eigentlich ein großer Kurpark

Wer größere Kreise ziehen möchte, findet in der Pfalz, besonders in dem als UNESCO-Biosphärenreservat geschützten Teil, Gelegenheit für Wanderungen und genug Wasser, um den Füßen ein erfrischendes Bad zu gönnen. Weiher und Flüsse durchziehen die Landschaft – ein erweiterter Kurpark. Der Duft des Waldes lädt ein, die Lungen zu weiten und die Atmung fließen zu lassen. Hier in der Natur kommt man innerlich zur Ruhe. Und man kann sich einlassen auf die wirklich wichtigen Dinge. „Kneipp möchte mit der Säule ‚Lebensordnung‘ (auch ‚Entspannung‘ genannt), dass wir uns Zeit nehmen, für die Rückkehr zur eigenen Seele“, erläutert Wieland Hassinger. Wo, wenn nicht hier, ist ein guter Ort dafür?

„Vergesst die Seele nicht!“, rät Kneipp. Das wollen wir beherzigen und besser darauf achten, dass unser Lebensrhythmus auch zu uns passt. Als erste Station auf dem Weg zu einer gesunden Lebensführung wartet jetzt erstmal das Wassertretbecken am Ufer des Erlenbachs im Kurpark. Welch herrlicher Moment, ins kühle Nass zu treten! Eine Dame, die ihre Runden schon routiniert gedreht hat, lächelt zufrieden und blinzelt in die Sonne. Ich suche mir auch ein Sitzplatz und tue es ihr nach.