In den weichen Boden des Wanderwegs haben sich kleine Hufe gedrückt, ein wenig erinnern die beiden dreieckigen Vertiefungen im feuchten Sand an eine aufgeklappte Muschel. Hier muss ein Reh nach der regnerischen Nacht schon in den frühesten Morgenstunden unterwegs gewesen sein. Ein gutes Stück tiefer im Wald ist dann die Erde unter den Bäumen rund um eine Pfütze tief aufgewühlt, das Wasser ganz trüb und schlammig. Wieder finden sich frische Spuren, dieses Mal allerdings von deutlich größeren Hufen - bei der Pfütze handelt es sich um das Badezimmer einer Wildschweinrotte, eine "Suhle".
Der Wanderweg zieht sich durch wunderbar lichte Kiefernflächen und führt hangabwärts in beinahe hallenartige Buchenwälder, doch außer einigen weiteren Spuren ist weit und breit kein Wild zu entdecken. Erst kurz vor dem Ende dieses Weges, schon nachdem der Wald in die Weinberge um Wachenheim übergegangen ist, huscht plötzlich ein Feldhase über den Weg. Er bleibt eine Weile bewegungslos im hohen Gras zwischen den Zeilen sitzen, bevor er sich schließlich doch aus dem Staub macht.
Im und am Pfälzerwald leben reichlich Wildtiere, das ist offensichtlich - doch sie auf eigene Faust zu Gesicht bekommen, alles andere einfach. Von einem Hochsitz tief im Inneren des Waldgebiets aus sollte es leichter gelingen, Wild zu beobachten, vor allem wenn es im ersten Licht der Morgendämmerung durch den Wald zieht. Jörg Sigmund bezeichnet das in der Sprache der Jäger als "Ansitz", und ist zuversichtlich, als seinen robuste Geländewagen in den noch stockdunklen Wald hinter derm Ort Eußerthal steuert. Aus der geteerten Straße wird gleich an der ersten Abzweigung ein nur grob geschotterter Weg, im Licht der Scheinwerfer ziehen rechts und links dicke Stämme vorbei. Das Ziel ist geschickt gewählt: Eine Stromtrasse windet sich durch den Pfälzerwald, unter den Leitungen ist sie auf einer Breite von bestimmt zwanzig Metern mit Gras und niedrigen Kräutern bewachsen und übersichtlich. Auf der einen Seite der Schneise wachsen einige Buchen und Kiefern, auf der anderen bilden hauptsächlich Fichten eine dichte grüne Wand. Möchte das Wild von der einen auf die andere Seite, muss die Freifläche überqueren. Als der Horizont beginnt, sich vage als helles Band abzuzeichnen, singen die ersten Vögel in den Ästen. Unmerklich wird es heller und heller, bis schließlich der Tag da ist. Als es kräftig zu regnen beginnt ist das das Zeichen, um den Ansitz zu beenden. Ein herrlicher Morgen, ein fantastisches Erlebnis - nur Wild war heute trotzdem leider keines unterwegs.
Alles für die Hühner
Im Norden des Landkreises Bad Dürkheim zeigen sich das Wetter und die Region dann von einer anderen Seite: Der Regen und Nebel der Morgenstunden ist verschwunden, kräftige Sonnenstrahlen lösen die letzten Wolken auf. Felder, Wiesen und Brachflächen, immer wieder durchsetzt von Hecken und kleinen Waldinseln, prägen die Landschaft. Ein völlig anderer Lebensraum als der Pfälzerwald, in dem sich auch andere Arten wohl fühlen: Frederic Norheimer führt durch sein Revier und zeigt immer wieder Hasen und Fasanen, nach einer Weile entdeckt er sogar zwei Rebhühner, die ohne Hektik zwischen den Stängeln eines Getreidefeldes verschwinden. Es ist nicht lange her, dass Rebhühner Allerweltsvögel waren, mittlerweile sind sie selten geworden. Geschossen werden die Vögel schon lange nicht mehr. "Überhaupt noch Hühner im Revier zu haben ist heute schon etwas besonderes, da käme ich nie auf die Idee, die wenigen jetzt zu erlegen." Auch die Landwirte tragen ihren Teil dazu bei, die Population zu erhalten: Vergleichsweise kleine Felder sorgen für Vielfalt, und die Zusammenarbeit mit dem Jäger funktioniert tadellos: "Fast alle lassen Ränder und Brennnesselflächen bei der Mahd oder Ernte stehen, außerdem legen sie Blühstreifen am Rand der Felder an - in diesen Flächen sitzen zum Beispiel die Fasanen dann gerne." Die größeren Verwandten der Rebhühner liegen dem jungen Jäger ebenfalls besonders am Herzen. Um die Fasanen zu unterstützen, stellt er an verschiedenen Stellen im Revier "Schütten" auf, eigens konstruierte Futtereimer, aus denen über eine Metallspirale einige Getreidekörner rieseln, sobald ein Vogel dagegen pickt. Gerade wenn im Spätsommer mit der Ernte plötzlich große Flächen wegfallen, auf denen die Vögel noch Stunden zuvor reichlich Futter gefunden haben, hilft diese Maßnahme den "Ernteschock" abzumildern und die Fasanen über den Winter zu bringen. Feldhasen können laut Frédéric in diesem Revier sogar behutsam bejagt werden: "Rehe und auch Wildschweine spielen auch bei uns eine größere Rolle, das ist klar, aber im Herbst können wir doch auch guten Gewissens den ein oder anderen Hasen erlegen." Der Hauptteil der begehrten Beute wird dann im eigenen Cateringunternehmen verwertet, doch gerade Hasen und Fasanen verkauft er auch an an Kunden, die diesen besonderen Genuss zu schätzen wissen.
Es ist beeindruckend, dass hier Rebhühner, Hasen und Fasanen die Feldflur bevölkern, während in den steilen Hängen des als grünes Band sichtbaren Pfälzerwalds, die Hirsche und Wildschweine, die sich beim morgendlichen Ansitz nicht zeigen wollten leben - eine solche Kombination so verschiedener Wildarten in einer Region ist selten.
Besonders zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang bedarf es eines rücksichtsvollen Verhaltens im Wald, da die Tiere von Lärm und hellem Licht ganz besonders gestört werden. Außerdem kann man Wildtiere länger beobachten, wenn sie sich nicht gestört fühlen.
Lebensraum und Lebensmittel
"Auch die Wildkatze findet hier einen geeigneten Lebensraum. Und seit einer Weile laufen erfolgreiche Versuche, mit dem Luchs einen der größten heimischen Jäger wieder bei uns anzusiedeln." erklärt Michael Leschnig. Mitten im Herz des Waldgebiets leitet er, das "Haus der Nachhaltigkeit" in Johanniskreuz. Zum Angebot gehören hier Ausstellungen, Führungen und Veranstaltungen - und der "Pfälzer Waldladen". Fertig portioniert und sauber verpackt liegen dort wilde Steaks und Bratwürste in einem Gefrierschrank, zusätzlich gibt es bereit fertig zubereiteten Wildgerichten und -konserven. Wie auch bei den anderen Produkten im Sortiment, steht auch beim Fleisch Regionalität und natürlich Nachhaltigkeit klar im Vordergrund: Verkauft wird ausschließlich Wild aus dem Biosphärenreservat und Revieren des Landesforstbetriebs Rheinland-Pfalz.
Doch warum wird überhaupt gejagt, und dann auch noch in einem Schutzgebiet? Zum einen sprechen fachliche Gründe dafür, auf die Pirsch zu gehen: Rehe und Hirsche können die Artenzusammensetzung im Wald verändern, denn sie "verbeissen" die Triebe junger Bäume. Sind die Wildbestände zu hoch, wachsen nur die weniger schmackhaften Arten auf und andere, mit besonders leckeren Knospen, verschwinden fast vollständig. Dabei ist gerade angesichts des Klimawandels ist eine möglichst große Artenvielfalt wichtig: Noch kann niemand mit Sicherheit sagen, welche Bäume die anstehenden Veränderungen am besten vertragen werden. "Wildesser sind Klimaschützer", ist Michael Leschnig deshalb überzeugt.
Zum anderen ist das Biosphärenreservat eine Modellregion, in der es darum geht, Wege für ein zukunftsfähiges Miteinander zwischen Mensch und belebter Umwelt zu finden. Das Thema Ernährung spielt dabei eine wichtige Rolle -Wildfleisch aus der Region ist da eine buchstäblich nahe liegende Lösung. Die Tiere führen das artgerechteste Leben, das man sich vorstellen kann: Frei und selbstbestimmt, ohne lange Transporte, Sojaschrot und Kraftfutter und ganz ohne Medikamenteneinsatz. Der Weg vom Wald auf den Teller ist kurz und nachvollziehbar, die CO²-Belastung entsprechend gering, die Verarbeitung und damit die Wertschöpfung geschehen auf lokaler Ebene.
Einfache Delikatessen
Mehr noch als diese Vorteile, spricht aber ganz einfach der hervorragende Geschmack für heimisches Wild. Rehfleisch etwa ist besonders fein und zart, Fett enthält es kaum. Wildschwein hingegen schmeckt würziger, mit kräftiger Struktur und einem etwas höheren Fettgehalt und das Fleisch des Rotwilds ist dunkel und edel, der Geschmack ist kräftig, intensiv und beinahe herb. Dabei kommt es auch darauf an, zu welcher Jahreszeit das Tier erlegt wurde, wie alt es war und was es in seinem Lebensraum zu fressen gefunden hat. "Das ist wie beim Wein: jede Art hat einen eigenen Geschmack, und der verändert sich dann. Riesling und Müller-Thurgau können Sie doch unterscheiden, das ist beim Fleisch ganz genauso", erklärt Lilo Glauner und beginnt sofort, ihren Umgang mit dem Lebensmittel zu beschreiben: Mit großer Leidenschaft bewirtschaftet sie die Gaststätte "Sieben Raben" im Jägerthal bei Bad Dürkheim. Der Wald beginnt direkt hinter dem Zaun des ehemaligen Forsthauses, und auch der Luchs hat schon vorbeigeschaut: " Da wollte der Hund an einem Tag plötzlich nicht raus in den Garten. Ich habe mich noch gewundert und am nächsten Tag erzählt mir der Nachbar, dass er den Luchs drüben im Wald beobachten konnte."
Wild ist einer der Schwerpunkte auf ihrer Speisekarte. Wildleberknödel, Wildhackbraten, Wildsuppe, dunkel und leicht gebunden - "die einfache Dinge sind Delikatessen", fasst die Köchin zusammen. Das Angebot richtet sich dabei nach den Jahreszeiten. Ab dem Beginn ihrer Jagdzeit am ersten Mai bereichern Rehe die Speisekarte, später im Herbst und Winter kommen vermehrt Wildschweine und Rotwild hinzu. Die Rezepte sind bodenständig und die verwendeten Zutaten konsequent regional:"Ich bin gerade dabei, meinen Gästen die Tomate abzugewöhnen - rote Beete tut es doch auch." Das Ziel ist nicht weniger, als bei jedem einzelnen Gericht ein optimales Geschmackserlebnis bieten zu können. Auf die Frage nach dem schönsten Kompliment, dass ihr ihre Gäste machen, antwortet die Köchin lachend: "Das hat geschmeckt, wie bei meiner Oma!"