GESTERN, HEUTE, MORGEN - Die Rebsorten der Pfalz


Ein Text von: Matthias F. Mangold

Manchmal sind alte Sätze gar nicht so dumm. "Man kann nur wissen, wo man hin will, wenn man weiß, wo man her kommt" zählt sicher dazu. Und ganz ehrlich: Meist möchte man ja auch dahin gar nicht mehr zurück. Doch es schult das Verständnis zu wissen, aus welchen Fehlern man lernen kann, was es herüberzuretten gilt oder welche Erfahrungen sich durch die Lehren der Vergangenheit sparen lassen.

Und weil dies ein universeller Ansatz ist, auf viele Bereiche übertragbar, gilt er auch beim Wein. Oft wird als selbstverständlich genommen, was man hat. "Die Pfalz und der Wein" - das gehört natürlich schon eine ewig lange Zeit zusammen, aber unter ganz anderen Maßgaben als jetzt. Nachdem etwa 50 v. Chr. der Rhein zur römischen Grenzlinie wurde, wurden massiv Reben gepflanzt, da die Soldaten und das ganze Umfeld einen hohen Bedarf verzeichneten. Die damals verbreiteten Sorten sind heute weitgehend unbekannt. Das trifft auch für das frühe und das Hoch-Mittelalter zu. Lange wurde nur in zwei Weinsorten eingeteilt: die hunnische und die fränkische, wobei letztere doppelt so viel kostete. Überdies war ein rebsortenreiner Anbau völlig unüblich. Man wollte Risiken minimieren, also pflanzte man "gemischte Sätze". Darunter fanden sich im 16. Jahrhundert Rißling, Albich (Elbling), Traminer, Gensfüssel, Harthengst, Orleans, Frühschwarz oder auch Moschateller. Später kamen dann noch Gutedel und Silvaner hinzu. Klingt teilweise bekannt, oder?

War der Riesling an der Mittelhaardt ab dem 19. Jahrhundert schon auf einem zumindest aufsteigenden Ast, sah es in der Südpfalz noch lange nicht danach aus, ganz im Gegenteil. Pfalzweit machten noch bis in die 1950er hinein Portugieser und vor allem Silvaner mit weit über 70 Prozent Rebsortenanteil den großen Batzen unter sich aus. Wer vor 50 Jahren im Süden weilte, fand so gut wie nichts anderes vor. Erst die enormen Fortschritte bei der Klonung und Veredelung von Reben führte dazu, dass auch wieder Sorten, die als zu schwierig, zu anfällig, zu ertragsunsicher galten, eine neue Chance gegeben wurde. Insbesondere bei den Burgundersorten ist das extrem auffällig. Obacht, jetzt kommen ein paar harte Zahlenfakten: Hatte der Weißburgunder 1954 laut amtlicher Statistik noch einen Rebsortenanteil von gerade mal 1 %, so sind es 2018 schon 5,5 %. Beim Grauburgunder ging es von 0,6 % auf jetzt 7,3 %, der Spätburgunder explodierte von 0,3 % auf 7,1 %. Und Silvaner? Hat sich im gleichen Zeitraum von 54,4 % (!!!) auf 2,3 % zurückgezogen.

Geschmäcker ändern sich also. Aber auch die Ansprüche. Wein zu trinken war in alter Zeit eine schiere Notwendigkeit, um gesund zu bleiben. Zu verseucht das Trinkwasser, man benötigte etwas Vergorenes, um es überhaupt ansatzweise trinken zu können. Eben Wein oder gar Essig. Und nun ist es gesellschaftlich hochakzeptiert, Wein als Genussmittel hochleben zu lassen, ihn zu beschreiben, eine Meinung dazu zu haben. Ein Schritt, der erst schleichend kam und dann eine unglaubliche Eigendynamik entwickelte. Winzer, die in der Pfalz in vorderster Linie eigentlich immer erst Bauern waren mit Feldern, Vieh und eben auch ein paar Wingerten, entschieden sich plötzlich in den 1960er Jahren und danach dazu, sich ganz auf Weinbau zu fokussieren. Und damit kamen neue oder bislang eher stiefmütterlich nebenher laufende Sorten zu größerer Geltung. Es war die große Zeit des Müller-Thurgau, aber auch Scheurebe, Morio-Muskat und Kerner. Ja, Aroma- und Bukettsorten waren gefragt. Viel Geschmack, reichlich Restzucker, dicker Schädel am nächsten Tag. Letzteres schob man zwar immer auf "zuviel Schwefel", in Wahrheit aber war es noch eine alte, lange nicht so wie heute super saubere Kellertechnik in Verbindung mit der Doppelspitze Alkohol und Süße.


Auch der Riesling setzte jetzt unweigerlich zu einem Höhenflug an. Obwohl die Gesamtanbaufläche erweitert wurde, legte er mächtig zu und erreichte ab den späten 1980ern seinen Spitzenwert von 25 Prozent Anteil. Das hat sich bis heute fast so gehalten, womit die Pfalz das größte zusammenhängende Rieslinganbaugebiet der Welt darstellt.

Doch wie kam der Wandel zustande? War es nicht gerade der Riesling, der früher nie richtig ausreifte und der deshalb gerne mit Gewürztraminer vermischt wurde, um die Säuernis zu übertünchen? Der wichtigste Faktor der Weiterentwicklung war sicherlich die verbesserte Berufsausbildung. Man lernte nicht mehr zu Hause beim Vater, Opa oder Onkel und machte auf der Schule seinen Küfermeister - nun ging es auf Weingüter mit Ruf! Eine Keimzelle der Qualitätsausbildung war Müller-Catoir auf der Haardt, wo ab 1971 bis 2002 der Kellermeister Hans-Günther Schwarz etwa 50 junge Frauen und Männer unter seine Fittiche nahm. Und ihnen seine Liebe zum Rieslaner mitgab, einer Kreuzung aus Riesling x Silvaner; noch heute kultivieren nicht wenige der ehemaligen Schwarz-Schüler diese selten gewordene Rebsorte in ihren eigenen Betrieben. Nach der eigentlichen Ausbildung folgten die Fortbildung zum Weinbautechniker oder das Oenologiestudium in Geisenheim. Mit all diesem Wissen und der Kenntnis um die praktische Umsetzung im Rücken, drehte man gewaltig an der Modernisierung von An- und Ausbau. Und man orientierte sich international. Reiste nach Kalifornien, Chile, Südafrika oder Neuseeland und stieß in völlig neue Geschmackswelten vor. Machte Bekanntschaft mit wieder neuen Sorten. So mancher Winzer schleuste als "Dekopflanzen für die Weinstube" deklarierte Chardonnay-Rebstöcke aus dem Ausland ein und vermehrte sie heimlich. Das mag interessant gewesen sein, konnte aber auch gefährlich enden. Ein Winzer aus Ellerstadt pflanzte in der Hoffnung auf baldige Zulassung 1984 Cabernet Sauvignon an. 1986 wurde er deswegen angezeigt - ein Jahr später endete der Prozess in zweiter Instanz gegen Zahlung einer Geldstrafe. Und mit der im Eilverfahren beschlossenen Zulassung dieser Rebsorte. 1991 erfolgte das für Chardonnay, 1997 für Merlot. Aus heutiger Sicht sind diese Sorten aus der Pfalz gar nicht mehr wegzudenken. Im Windschatten wagten sich die Winzer über den Versuchsanbau an weiteres Neuland. Die weiße Sorte Sauvignon Blanc, beheimatet in Frankreich und international bekannt geworden durch Neuseeland, erfreut sich seit den nuller Jahren dermaßen großer Beliebtheit, dass nahezu jeder Betrieb sie ja schon führen muss wegen der starken Nachfrage der Kunden. Syrah ist zugelassen, Viognier, Marsanne, Sangiovese oder Tempranillo sind in der Testphase. Das Pfälzer Klima erlaubt die Ausreifung, also wird gemacht, was einst unmöglich war.

Aber genau dieses Klima mit seinen heißeren Sommern und größeren, intensiveren Trockenphasen bei gleichzeitig nicht mehr so vielen Winterniederschlägen ist auch ein Problem (geworden). Es wird hie und da bereits geunkt, irgendwann sei in der Pfalz kein Rieslinganbau mehr möglich. Von diesem worst-case-Szenario wollen wir mal nicht ausgehen, doch klar ist schon, dass sich etwas verändert. Noch vor 30 Jahren rechnete man mit der Rebblüte um den 20. Juni - da sind wir jetzt auch schon mal gut drei Wochen vorher dran. Da hieß es einmal, der Riesling brauche für die physiologische Reife von der Blüte bis zur Lese 100 Tage - 80 tun´s jetzt auch. Der Biologe Dr. Oliver Trapp, beim Siebeldinger Institut für Rebenzüchtung Geilweilerhof als Chefzüchter angestellt, konstatiert zwar, das heiße Sommerwetter sei anstrengend für Jungreben, doch würde sich die Pflanze letztlich daran gewöhnen. Viel kritischer: "Die Reife ist das Problem bei den herkömmlichen Rebsorten - sie werden zu früh zu reif", so Trapp. 2018 haben viele Winzer bereits in der dritten Augustwoche (!) mit der Lese etwa von Spätburgunder begonnen. Wer zu lange zögerte, fuhr gigantische Oechslegrade ein und konnte daraus nur noch alkoholische Bomben oder süßliche Tropfen erzeugen. Beides nicht der Hit.

Für Trapp gibt es im Grunde mehrere Lösungsansätze:

1. Die bessere Nutzung von Mikroklimata, gerade für Riesling. Das heißt rauf auf die Höhe, hinein in die Täler des Pfälzerwaldes oder ab nach Norden.

2. Mal wieder den Blick zurück wagen, ob man doch nicht ein paar ältere vergessene Sorten findet, die extrem spät ausreifen. Jan Eymael vom Weingut Pfeffingen in Bad Dürkheim setzt auf Scheurebe, ganz in der Tradition und Leidenschaft seiner Großeltern. Von der Fläche her macht sie bei ihm 15 Prozent aus, beim Umsatz sogar 20 Prozent. Warum? "Scheurebe ist recht widerstandsfähig, sie hat eine dicke Beerenschale. Zwar kommt auch hier die Edelfäule nicht mehr so schnell wie früher, dafür sind die Herbste zu trocken - doch bei uns hat Scheu eine echte Zukunft!", so Eymael.

3. Noch mehr mediterrane Sorten anbauen.

4. Auf Rebsorten ausweichen, die dem größten Feind gegenüber, den Pilzen, am besten gewappnet sind.

Pilze, insbesondere der echte (Oidium) und der falsche (Peronospera) Mehltau, sind die eigentliche Gefahr. Sie fühlen sich kuschelig wohl in der Kombination von Wärme und Feuchtigkeit. Das kann man mit Spritzungen vielleicht halbwegs in den Griff bekommen, aber nie ganz. Deshalb geht eine starke Tendenz in der Forschung in Richtung Piwis - das Kürzel für pilzwiderstandsfähige Rebsorten. Da gibt es schon einige, die bekanntesten von ihnen sind Regent, Cabernet Blanc oder auch seit langem schon in Franken Domina. Manche dieser Sorten besitzen freilich nur eine Einzelresistenz. Verändern sich nun aber die Pilze - was sie auch tun, und zwar rasend schnell-, wird die Resistenz umgangen. Demnach ist es Ziel, Sorten mit mehreren Resistenzen zu züchten. Was nicht nur Biowinzer betrifft - doch die seien in überproportional hoher Nachfrage gewillt, sich neu aufzustellen.

Und da gehört der Landauer Winzer Klaus Rummel zu den Pionieren unter den Praktikern. Er baut schon seit 1987, als er auf Bioweinbau umstellte, Piwis an, aktuell auf 65 Prozent seiner Flächen, Tendenz steigend. Er kennt somit die Hauptprobleme: "Eine Pilzspore genügt, um den Abwehrmechanismus zu umgehen." Rummel probiert viel aus, bei ihm stand übrigens der erste Cabernet Blanc weltweit. "Da muss man aber auch mal rigoros sein und Stöcke auch nach wenigen Jahren wieder rausschmeißen, wenn die Sorten oder die Klone nicht gut sind!" Große Hoffnung setzt er in den "VB Cal. 6-04", öffentlich Sauvignac genannt. Es ist eine Kreuzung aus Sauvignon Blanc x Riesling x Resistenzpartner, gezüchtet von Valentin Blattner. Die Weine daraus haben eine gewisse Säure und Frische, sind aromatisch und könnten es tatsächlich schaffen, für die Zukunft einer neuen Rebsorte in der Pfalz zu stehen. Grundsätzlich würde sich Rummel noch mehr Zusammenarbeit zwischen Weingütern, Wissenschaft und Forschung wünschen, um an einem Strang zu ziehen.

Und was lehrt uns das alles jetzt? Gerade auch ausgehend vom "Ursprungs"-Gedanken? Das, was wir romantisieren als lange Tradition, ist in Wahrheit eine Verkettung von sich immer wieder erneuernden Prozessen. Ohne wirklichen roten Faden. Ja, wir haben in der Pfalz eine laaaaange Weinbaugeschichte und dürfen darauf auch sehr stolz sein. Aber sie ist nicht stringent, weder bei den Rebsorten, noch in der Qualität. Jede Generation hat auf Veränderungen und neue Herausforderungen reagiert. Augenblicklich leben wir im Pfälzer Wein-Schlaraffenland - wer das nicht nutzt, ist selber schuld. Daraus abzuleiten, dass es immer schon so war und ewig so bleiben wird, ist so ignorant wie fahrlässig. Sowohl Erzeuger wie auch Konsumenten werden sich wohl umstellen müssen, wenn die Klimaveränderung weiter voranschreitet. Was werden wir in 30 Jahren in der Pfalz am meisten und am liebsten trinken? No alla - Riesling! Hoffen wir´s ...