Die Wurstwalze

Text: Sigrid Frank-Eßlinger


In der Pfalz gibt es viele traditionelle Feste, darunter den Dürkheimer Wurstmarkt und die Geißbockversteigerung in Deidesheim. Eines der ältesten Volksfeste der Pfalz ist der Purzelmarkt in Billigheim-Ingenheim. Hier gibt es eine Königin, Pferderennen und zahlreiche traditionelle Wettbewerbe. Einer davon ist die Wurstwalze, für die man Mut und Geschicklichkeit braucht – und bei Erfolg mit einer Wurst belohnt wird.

Die Wurstwalze ist eine ziemlich einfache Vorrichtung. Sie besteht aus einem waagrecht aufgehängten runden Holzstamm, der glatt poliert ist und sich um die eigene Achse drehen kann. Aufgabe ist es, auf einer kleinen Leiter hoch- und dann den Balken entlang zu klettern, um an dessen Ende nach einer dort aufgehängten Wurst zu schnappen. Was die Sache noch ein bisschen schwieriger macht: Wilfried Eck, der Mann an der Wurstwalze, kann an der Schnur ziehen, sodass die Wurst hoch und runter wippt und man echte Geschicklichkeit auf dem wackligen Holzstamm braucht, um sie mit dem Mund zu erwischen und festzuhalten.

Der gebürtige Billigheimer kam eher zufällig zu seiner Aufgabe an der Wurstwalze, die er inzwischen seit über 15 Jahren in jedem September erfüllt: „Ich war damals Gemeinderat, und wie alle anderen Honoratioren hatte ich eine Schärpe um und ging beim Festumzug mit“, erzählt der Krankenpfleger, der mit Frau und zwei Kindern in Billigheim wohnt. „Später, bei den Wettbewerben auf der Festwiese, war wie immer ziemlich viel Trubel und ich habe an der Wurstwalze ausgeholfen. Anschließend hat mich der Verein gefragt, ob ich das nicht übernehmen will. Seitdem bin ich quasi zu einem Gesicht des Purzelmarktes geworden.“ Neben dem auffälligen Bart und der runden schwarzen Brille trägt dazu natürlich auch Ecks traditionelle Kleidung bei: Schwarzer Dreispitz und lange schwarze Jacke, weißes Hemd mit schwarzer Schleife und dunkelrote Weste. Während des Festumzugs trägt er dazu als Erkennungszeichen die kleine Leiter der Wurstwalze über der Schulter und eine lange Kette aus Würsten um den Hals.

„Wir sind ja alle mit dem Purzelmarkt groß geworden, für jeden hier im Dorf ist er das Highlight des Jahres. Und an die Wurstwalze kann ich mich noch aus meiner Kinderzeit erinnern, als ich selbst drüber geklettert bin“, erzählt Eck. „Damals ging es noch recht wild zu, heute sind wir eher vorsichtig geworden und helfen den Kindern auch. Die Wurstwalze ist ein ganz einfaches, eher altertümliches Gerät, aber die Kinder sind nach wie vor begeistert. Und wenn die Kinder fertig sind, wollen es die Erwachsenen auch noch mal versuchen,“ lacht Eck. „Aber die Walze ist bestimmt schon hundert Jahre alt. Im vergangenen Jahr ging sie kaputt, als eine Erwachsene hochgeklettert ist, und musste repariert werden.“

Der Purzelmarkt in Billigheim, das zwischen Bad Bergzabern und Landau liegt, ist eines der ältesten Volksfeste der Pfalz und findet inzwischen seit über 570 Jahren statt. Er geht zurück auf das Jahr 1450, als Kaiser Friedrich III dem Ort im Klingbachtal Stadtrecht und Marktfreiheit verlieh. Der seit damals übliche Wochenmarkt wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingestellt, der herbstliche Jahrmarkt, mit wenigen Unterbrechungen in jedem Jahr begangen, blieb erhalten. In den früheren Jahrhunderten waren Samstag bis Montag die wichtigen Handelstage, am Dienstag fand der traditionelle Marktabschluss statt. Daraus entwickelt sich das heutige Volksfest für die Region mit seinen volkstümlichen Wettkämpfen.

Heute sind neben dem Festumzug die Reitwettbewerbe der größte Zuschauermagnet des Purzelmarktes. Statt – wie früher – über die etwas holprige Festwiese zu galoppieren, auf der währenddessen noch Kinderwettbewerbe stattfanden, ist für die Pferde inzwischen eine professionelle Rennbahn mit sicheren Absperrungen entstanden. Organisatorisch und finanziell engagiert sich hier neben der Gemeinde der Billigheimer Purzelmarkt-Verein, der 1905 gegründet wurde um „den alljährlich stattfindenden Purzelmarkt zu heben und das Fest in jeder Hinsicht verschönern und anregender gestalten zu helfen“. Die Ehrenamtlichen achten darauf, neben allen notwendigen Neuerungen die beliebten und typischen traditionellen Wettbewerbe zu erhalten. Dazu gehört natürlich das Purzeln der Jungen, das dem Fest seinen Namen gegeben hat, und über eine Strecke von 50 Metern den besten Purzelbaum-Schlager ermittelt. Außerdem gibt es Dreibeinlaufen, Sackhüpfen, Wassertragen, Stangenklettern und das sogenannte Rapstuchspringen, bei dem die Kinder unter einem großen aufgespannten Tuch durchrennen.

Zum Start des Festes findet jedes Jahr ein ökumenischer Gottesdienst in Pfälzer Dialekt statt und aus den Reihen der Trachtengruppe wird eine Purzelmarktkönigin gewählt und gekrönt. Samstags herrscht in den Hofschänken und auf der Festmeile bereits buntes Festtreiben mit Musik und Tanz – schließlich ist  Billigheim-Ingenheim die viertgrößte Weinbaugemeinde der Pfalz. Und dann fiebern alle dem großen  Festumzug am Sonntag entgegen. Ein Glockengeläut kündigt den Beginn an. Der Zug führt traditionell vom oberen Tor, dem letzten der vier historischen Stadttore aus dem 15. Jahrhundert, zur Festwiese.  Musikvereine, Trachtengruppen, Tänzer, Reiter, maskierte Fußgänger und Mottowagen wechseln sich in bunter Folge ab. Auch Wagen aus den Nachbardörfern sind dabei und Szenen aus dem bäuerlichen Leben.

„Unser Umzug ist schon wild und bunt “, sagt Wilfried Eck, „wir versuchen einen Spagat zwischen historisch und modern und schauen, dass es nicht zu sehr Fasching wird. Was mich wirklich freut ist, dass auch zahlreiche junge Leute beim Festumzug mitmachen, zum Beispiel Theos Lieblinge, die nun schon seit einigen Jahren immer wieder einen ausgefallenen Wagen ausstatten.“ An die 10.000 Besucher zählt die Gemeinde an solchen Tagen, an denen dann auch Wilfried Eck im Festumzug mitgeht, als Erkennungsmerkmale den Dreispitz, die Leiter und die Wurstkette. Viele alte Freunde und Bekannte, die in Billigheim aufgewachsen und dann irgendwann weggezogen sind, kommen ganz bewusst zum Purzelmarktwochenende zu Besuch nach Hause. „Das ist immer wie ein großes Familientreffen“, erzählt Wilfried Eck, der sich auch noch an die Musik erinnert, die früher sonntagmorgens vor dem Festumzug im ganzen Ort gespielt wurde: „In den sechziger und siebziger Jahren, als es noch kein Amtsblatt gab, hatten wir in Billigheim eine Ortsrufanlage. Das waren kleine, leitungsgebundene Lautsprecher, die im Ort verteilt an vielen Häusern hingen. Üblicherweise wurden dort abends wichtige Neuigkeiten aus der Verwaltung verkündet, aber am Sonntag des Purzelmarkts wurde schon morgens über diese Lautsprecher Musik gespielt. Das war toll.“ So wie Eck und seine Freunde, sind auch seine Kinder mit dem Purzelmarkt aufgewachsen. Ecks Sohn ist als Kind sogar im Festumzug mitgegangen, jetzt, in der Pubertät, ist das gerade nicht so attraktiv. „Das verstehe ich, aber ich freue mich auch jedes Jahr, wenn ich sehe, dass so viele Kinder noch Lust haben mitzurennen und zu klettern“, sagt er. „Wir können die Kinder offenbar mit diesen einfachen Wettbewerben begeistern, obwohl viele von ihnen heute doch so gerne mit Computern spielen. Aber ich glaube, all die Eltern, die eingefleischte Purzelmarktgänger sind, wollen auch, dass ihr Kind mal auf die Wurstwalze geklettert ist.“

Lust auf noch mehr Traditionsfeste? Verpassen Sie auf keinen Fall den Dürkheimer Wurstmarkt am 2. und 3. Septemberwochenende, oder besuchen Sie das Deutsche Weinlesefest, wo jedes Jahr die deutsche Weinkönigin gewählt wird.