Die Rebellion der Ideen


Text: Stefan Dostal

Vom „mußirenden Wein“ des Roten Fitz bis zum japanischen Einfluss auf die Heimatküche: Kreative Menschen sorgen dafür, dass man in der Pfalz in Sachen Genuss immer wieder zu neuen Ufern aufbricht. Früher wie heute.

"Gestatten, Fitz Ritter!"

 

 

 

Wegen seines roten Haupthaares wird er Roter Fitz genannt. Johannes Fitz engagiert sich in den 1830er-Jahren als liberal eingestellter Bürger in Dürkheim gegen das Einschränken der zivilen Freiheitsrechte durch die bayerische Obrigkeit. 

Höhepunkt seines politischen Wirkens war der von ihm angeführte Zug von 500 Dürkheimer Bürgern im Jahr 1832. Noch heute erinnert der Cuvee "Revoluzzer" daran, wie er sie, die schwarze Fahne mit der Aufschrift "Die Weinbauren müssen trauren" schwenkend, hinauf aufs Hambacher Schloss führte

Bewegung zur Freiheit 

Die Geschichte zeigt es bis in unsere Tage: Revoluzzer und Rebellen werden verehrt oder verteufelt - je nach Standpunkt und Betrachtungsweise. Unabhängig davon entwickeln diese Visionäre jedoch fast immer Ideen, die etwas in Bewegung bringen und häufig für Innovation oder Weiterentwicklung sorgen. Vier genussreiche Beispiele aus der Pfalz, die dies unter Beweis stellen.

Gefängnisstrafe und Genuss

Mit einem eigens von Fitz für das Hambacher Fest geschriebenen Lied richtet sich der Protest gegen den Zoll, der die Winzer trotz harter Arbeit an den Rand der Armut bringt. "Der Herr soll uns vor Eigenhülf' bewahren, doch sind wir auch bereit", wurde darin durchaus gewaltsamer Widerstand angedroht. Für den Roten Fitz, der auch durch weitere Proteste und politisches Engagement "auffällt", hat dies Folgen: Er wird von der bayerischen Staatsregierung des Aufrührertums und der Majestätsbeleidigung angeklagt. Fitz wird unerbittlich verfolgt und schließlich zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Schon lange vor seiner Verurteilung entzieht sich Fitz durch Reisen nach Frankreich immer wieder den befürchteten Verhaftungen. Und hier kommt nun das Thema Genuss ins Spiel: Denn laut Familientradition entstand dabei durch das Kennenlernen von Champagner der Plan zum Start einer eigenen Sektproduktion, die Johannes zusammen mit seinem Cousin Georg Fitz auf den Weg bringt. Am Vigilienturm, einem klassizistischen Weinbergstempel oberhalb von Dürkheim, den es heute noch gibt, präsentiert Fitz im Jahr 1844 den dort versammelten deutschen Wein- und Obstproduzenten den ersten pfälzischen Sekt. Die Tradition der ersten Champagner-Kellerei im Königreich Bayern wird heute im Weingut Fitz-Ritter weitergeführt.

Wenn Engel die Nacht küssen

Ein Sprung in die 1970er-Jahre: In Venningen in der Südpfalz beginnt Georg Wiedemann in das Mysterium einer "sauren Kunst" einzutauchen. Über die Lektüre alter Bücher war er darauf gestoßen, dass Essig in früheren Zeiten ein wertvolles Gut gewesen ist. Fast alle Kulturen kannten Essig, erzählt Wiedemann. Auf die heilende Wirkung - im Zusammenspiel mit ausgesuchten Pflanzen - hätten zum Beispiel schon die Ägypter und Griechen gesetzt. Essig, der auch ein körpereigenes Produkt ist, könne Stoffwechsel und Verdauung anregen.

"Für die Leute habe ich einfach den Wein verhunzt", erinnert sich Wiedemann mit einem Schmunzeln an die Anfangsjahre. Der Beginn sei schwierig gewesen und "die Winzer haben mich nicht geliebt". Verständlich, wenn man bedenkt, dass Oxygenium die Bezeichnung für Sauerstoff ist und vom altgriechischen Wort für sauer gewordenen Wein kommt: Essig. War Wiedemanns Idee, aus besten Weinen - etwa Beeren- und Trockenbeerenauslesen - Essig zum Trinken zu machen, revolutionär? "Eigentlich ist es Alchemie. Doch Ideen sind immer Rebellentum. Auch wenn man Vergessenes wieder hervorholt, kann man die Richtung bestimmen", ist sich Wiedemann sicher. Sein Doktorenhof übt heute auf Genießer magnetische Anziehungskraft aus. Rund 40 verschiedene Essige vom "Armeniacum" über "Engel küssen die Nacht" bis zur "Zitronenbraut" sind ständig im Angebot. Drei bis vier neue Geschmackskreationen, die andere ersetzen, kommen im Jahr dazu. Darunter auch "rebellische" Essige wie aktuell der "Vatermörder", der seinen Namen vom eleganten Stehkragen des Mannes von Welt im 19. Jahrhundert hat.

Vom Außenseiter zum Ratgeber

Ein weiterer Zeitsprung, diesmal ins Jahr 1990: Der Aufbruch von Andrea Burkard beginnt mit einem Zufall. In Wernersberg übernimmt sie eine kleine Herde von vier Gallowayrindern von ihrem Schwager, der sich seinem Hobby nicht weiter widmen konnte. Zusammen mit ihrem Mann Bernhard hat sie in der Folge die Rinderzucht "Am Adelberg" aufgebaut. Heute gehören zu dem am Josefshof ansässigen landwirtschaftlichen Betrieb in Völkersweiler rund 150 Rinder der alten Rasse aus Schottland. Der zertifizierte Bio-Betrieb ist auf Erzeugung von Qualitäts-Rindfleisch ausgerichtet, das fast ausschließlich direkt vermarktet wird. Einige Tiere aus der Zucht werden auch weiterverkauft.

"Haben die armen Tiere keinen Stall?" Anfangs rief das Projekt Tierschützer auf den Plan, auch das Veterinäramt zeigte sich irritiert. Der Grund: Die Tiere werden ganzjährig im Freien gehalten. In den offenen Jahreszeiten ernähren sie sich ausschließlich vom Aufwuchs der Weiden. Im Winter erhalten sie auf dem Hof selbst geerntetes Heu und etwas Grassilage. "Man hat uns nicht als Rebellen gesehen, eher als Außenseiter und Ökospinner", erzählt Burkard. Dies hat sich völlig geändert, auch bei ihren Kollegen genießt das Projekt heute Respekt: "Früher haben sie dich belächelt, heute fragen sie dich". 

Ihre Diplomarbeit hat Burkard 1990 in Geisenheim über den "Einsatz von Nutztieren in der Landschaftspflege und im Naturschutz" geschrieben. Heute beweist sie im UNESCO-Biosphärenreservat Pfälzerwald/Nordvogesen als Partnerbetrieb auf rund 130 Hektar Fläche, wie sich wirtschaftliche und landespflegerische Interessen in Einklang bringen lassen. Sorgen doch die Gallowayrinder dafür, dass Wiesen und Weiden, die im Zusammenspiel mit dem Wald den besonderen Reiz der Region ausmachen, erhalten bleiben.

Wo Küche und Service verschmelzen

Der letzte Zeitsprung führt in die Zukunft: Benjamin Peifer plant zusammen mit seiner Partnerin Bettina Thiel und seinem Team in Wachenheim an der Weinstraße das "Intense 2.0". Peifer, dessen heutige Restaurants "Intense" in Kallstadt und "The Izakaya" in Wachenheim jeweils mit einem Stern gekrönt sind, will ab Sommer 2022 im neuen Lokal die Rustikalität der Pfalz mit dem Filigranen aus Japan noch intensiver verbinden, in dem "Küche und Service miteinander verschmelzen". Der Gast wird in verschiedenen Räumen im Wortsinne eine Genussreise mit vielen kleinen Gängen antreten, die parallel an Tisch und Theke serviert werden. Peifer sieht sich nicht als Rebell, sondern als "jungen Unternehmer mit Ideen". Er erklärt: "Ich habe Lust alles anders zu machen und erfolgreich zu sein." Die eigentliche Revolution in der Gastronomie beginnt für ihn damit, viel für das Team zu tun. "Mitarbeiter brauchen Freiheit", betont er und verweist darauf, dass "das Intense nur funktioniert, weil man als eingespieltes Team arbeitet". Das große Ziel heute und in Zukunft: Das Essen als Kulturgut in den Mittelpunkt rücken. Peifer: "Man soll das Leben an allen Tagen genießen. Bei uns und in anderen Restaurants."

 

 

Unverkennbar in Peifers Küche: Der japanische Einschlag kombiniert mit Produkten und Gerichten aus seiner Heimat, der Pfalz. Und immer ein Fokus auf intensive Aromen. Serviert wird im Intense ein OMAKASE-Menü, also: 's werd gesse, was uff de Disch kummt!