Return of the Metzelsupp

Auf den Spuren der Pfälzer Wurstkultur


"Lewwerworscht und Grieweworscht, des isch wie Mann und Frau“, stellt Metzgermeister Adam auf der sonnigen Terrasse fest und schneidet die herzhaften Würste an, die wir gerade frisch aus dem Kessel geholt haben. Den ganzen Vormittag habe ich ihm und seinem Team dabei zugeschaut, wie sie geschlachtet, zerlegt, gekocht, gerührt und abgeschmeckt haben. 

Die Tage in der Landmetzgerei Adam in Herxheim bei Landau beginnen früh. Wenn Schlachttag ist sogar schon um vier Uhr morgens lang bevor die Sonne aufgeht. Ein paar Stunden harter Arbeit später hängen dann gut zwanzig Schweinehälften in der Kühlkammer, die Därme sind gereinigt und die Arbeit kann in der Wurstküche weitergehen. Doch jetzt ist erstmals Zeit für eine kurze Pause.

Nachdem sich Landmetzger Adam einen Schluck kalte Weinschorle aus dem „Dubbeglas“ gegönnt hat, bekomme ich das Trinkgefäß gereicht. Das macht man hier so. Nach getaner Wursterei wird geteilt. Das gilt für die Wurst, genauso wie für den erfrischenden Riesling aus den nahen Weinbergen, der zur Wurst gehört, wie eine Scheibe gutes Landbrot. Wer die Pfälzer Wurstkultur verstehen will muss die Tradition der Hausschlachtung kennen, in der fast alle bekannten Spezialitäten ihren Ursprung haben.

Früher hat hier fast jeder „ä Wutz“ im Stall gehabt, erfahre ich, als wir später in der guten Stube des Landmetzgers sitzen und uns alte Fotos von Schlachtfesten auf dem Dorf anschauen. Richtige Industrie habe es hier lange nicht gegeben, man sei halt ein Bauernvolk gewesen und die Hausschlachtung hat so eine lange Tradition in den Dörfern der Region. Sobald die Schweine fett genug waren, meistens im Winter, sei „gemetzelt“ worden. Da ja nicht jeder einfach „a Sau dood mache derf“, hatte er als Landmetzger in den Schlachtemonaten, die „mit r“, immer viel zu tun gehabt. Die Schlachtfeste waren dabei nicht nur Anlass die Speisekammer und Bäuche zu füllen, sondern auch Gründe um zusammenzukommen, sei es als Familie oder als Dorfgemeinschaft. Zusammen wurde erst geschlachtet, gewurstet und dann gelacht, getrunken und „viel vazehlt und g'sunge“, wie sich Adam mit leuchtenden Augen erinnert. Heute kommt es nicht mehr so häufig vor, dass er zur Schlachtung gerufen wird. Es ist weniger geworden, doch die Tradition wird immer noch hochgehalten. Heute laden meist Vereine, aber auch Privatpersonen, oder der ein oder andere Winzer zur Metzelsupp ein, wie die traditionelle Brühe mit herzhafter Fleischeinlage im Wurstkessel genannt wird, die zum Schlachtfest gehört wie das Dubbeglas. 


Die Kessel, in denen das Schwein und die Wurst gekocht werden, sind die Geburtsstätten vieler klassischer Pfälzer Spezialitäten, wie Leber- und Blutwurst, Knödel und dem besonders unter den Älteren viel gepriesenen Kesselfleisch, in manchen Orten auch Wellfleisch genannt. Während ich neben den Metzgern beim Wurstmachen stehe, bekomme ich ständig kleine, noch dampfende Fleischstücke gereicht, die ich kurz in Salz und Pfeffer dippen und mit einer frisch geschnittenen Zwiebel in den Mund stecken soll. Mit einem schelmischen Grinsen fragt mich Metzgermeister Adam nach jedem Bissen: „Na, was ist das wohl?“.

Was ich probiere hat einen feinen Schmelz, es schmeckt zart, intensiv und hat ein wunderbar herzhaftes Aroma. „Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung“, antworte ich. Die Auflösung überrascht. „Bäcksche, Schniffl und Bauch“, also Schweinebacke, Nase und das Zwerchfell, sind da vorhin in meinem Mund gelandet, erklärt der Metzger. In Zeiten, da viele Esser nur mehr Filet und Kotelett vom Schwein kennen, sind diese Teile kaum noch bekannt, dabei sind sie schon immer die Basis vieler Hausmacherspezialitäten gewesen und ungemein köstlich. Das derzeit viel gepriesene Motto ambitionierter Gourmetköche „Nose to tail“, also die achtsame Verwertung des ganzen Tieres, kommt einem hier in der traditionellen Pfälzer Wurstküche als Binsenweisheit vor. Hier hat man das immer schon so gemacht. Ohne „Nose to Tail“ gäbe es keine Pfälzer Wurstkultur.

„Beim Kesselfläsch musch immer näwam Metzger stehe bleiwe, der wäß was gut isch“, bekomme ich später als Ratschlag von einem rüstigen Rentner aus dem Dorf geraten. Jeden Montag kommt er früh morgens in Adams Metzgerei um die frische Wurstmasse zu probieren. Zusammen mit den Fleischern probiert er alles, bevor die Wurst abgefüllt wird. „Jeder muss probieren und versuchen, das ist wichtig,“ sagt Metzger Adam „…und dann wird’s so gemacht wie der Chef sagt,“ fügt er lachend hinzu. An die Leberwurstmasse vor uns in der Mole, einem großen Mischbottich, muss noch eine Hand Majoran, wird einstimmig beschlossen. Majoran ist das klassische Gewürz, das der Pfälzer Leberwurst ihren Charakter gibt. Salz, Pfeffer, Muskatblüte, Koriander – es sind nicht viele Gewürze, die in die Wurst kommen, aber das richtige Verhältnis muss stimmen. Ein grammgenaues Rezept gibt es hier nicht. „Die Hausmacher Sachen mach ich alle aus der Hand“ sagt Metzger Adam und vermengt die Gewürze mit der Wurstmasse, in der bald beide Unterarme verschwinden.

Das Wissen um den besonderen Geschmack wird in der Pfalz seit Jahrhunderten von Generation zu Generation weitergegeben. Manchmal in der 6., andernorts bereits in der 9. und 10. Generation. Wenn man den Metzgern bei Ihrer Arbeit zuschaut, sieht man, wie viel Fingerspitzengefühl und echtes Handwerk in den Spezialitäten steckt. Die einzige Maschine, die hier heute die Arbeit erleichtert, ist die Füllmaschine: ein großer Trichter mit einem Füllstutzen. Das Zerlegen, Schneiden, Mengen und Rühren ist Handarbeit – wie früher. 

Was die Wertschätzung dieser mühsamen Handarbeit anging, sah es jedoch vor einigen Jahren düster aus. Da habe es ein richtiges Loch gegeben, erzählt die Metzgersfrau später am Mittagstisch. Rustikale Hausmacher-Spezialitäten schienen aus der Mode und teils richtig verpönt gewesen zu sein. Darunter hätten viele Metzgereien der Region gelitten, erzählt sie. Viele haben sogar schließen müssen. Auch die Nachfolge macht vielen Metzgern bis heute Sorgen. Ohne motivierten Nachwuchs droht vielen Metzger-Dynastien der Region das Ende. Was verschwindet ist dabei nicht nur der Metzger im Dorf, sondern vor allem ein riesiges Wissen um das kulinarische Erbe der Pfalz. 

Für Landmetzger wie Walter Adam geht es dabei noch um viel mehr. Es geht um den Zusammenhalt und die Verbindungen in der Region, die er mit seinem Schaffen erhalten will. So versucht er alles, was er benötigt, aus der Region zu beziehen. Angefangen bei den Schweinen, die er von drei nahen Bauern bezieht, über das Brot für seine Fleischknödel, was der Dorfbäcker bäckt, bis hin zum Futter für seine eigenen Rinder. Eine kleine regionale Brauerei liefert ihm den Biertreber, also die Überreste des Brauvorgangs, die seine Tiere als leckere Abwechslung zum Grünfutter schätzen.

Als wir am Nachmittag die Rinder besuchen, die der Metzger selbst auf den Wiesen und in einem Stall nahe des Dorfes hält, merkt man wie sehr ihm die Tiere am Herzen liegen. „Ich war schon immer gerne bei den Tieren“, erzählt Adam, als er seine Rinder mit frischem Grünfutter füttert und neues Stroh im Stall auslegt. Bereits als Kind habe er regelmäßig auf dem Bauernhof ausgeholfen. Es mag für viele ein komisches Bild sein und doch, die Tierliebe eines Metzgers ist eine Grundvoraussetzung für gute Qualität und Geschmack, erfahre ich später im Auto.

Für Landmetzger wie Adam gehört es ganz selbstverständlich zum Handwerk, dass er die Schweine für seine Wurst von Landwirten aus der Region bezieht und diese auch selbst schlachtet.

Für die Tiere heißt das kurze Transportwege und für den Metzger neben der absoluten Frische einen direkten Austausch mit den Bauern über Qualität, Rassen und das Tierwohl. Schweine, Rinder und Lämmer werden immer einen Tag vorher und von den Bauern selbst angeliefert. Durch die kurzen Wege und die zusätzliche Ruhephase sind die Tiere nicht gestresst, was wichtig für die Qualität des Fleisches und auch der Wurst ist. Der Schlachtvorgang passiert schnell und mit Konzentration auf das einzelne Tier. Hast wie am Fließband gibt es hier nicht.

Während man den Metzgern früh morgens bei ihrer schweißtreibenden Arbeit zuschaut und weiß, dass der Tag erst am späten Nachmittag endet, erscheint einem die Leberwurst immer mehr als kleines Kunstwerk in dem wahnsinnig viel Arbeit steckt.

„Als Kind hatte man im Dorf Ehrfurcht vor dem Pfarrer, dem Bürgermeister und den Handwerksmeistern gehabt“, stellt Adam später etwas wehmütig fest. „Heute ist das leider nicht mehr so.“



Doch ist es das wirklich nicht? Seit einigen Jahren zeichnet sich ein neuer Trend ab, das stellen zumindest so einige der verbliebenen Fleischhandwerker der Region fest. Für sie ist der regionale Landmetzger auf dem besten Weg wieder „in“ zu werden. Man habe lange nicht so viel Hausgemachtes mehr verkauft, wie jetzt und das nicht nur an das ältere Publikum, betont die Metzgersfrau, sondern auch wieder an junge Leute, die sich wieder nach dem Einfachen und Echten sehnen würden und auf Qualität achten. Männer wie Frauen würden sich mehr mit dem Kochen befassen und bewusster einkaufen. Wer zum Studium die Region verlassen hat, kauft heute wieder gerne beim Landmetzger ein, wenn er in der Heimat ist. Touristen kämen, weil sie den besonderen Geschmack schätzen und das Regionaltypische suchen. Die Dosenwurst, die bei den Metzgern in der Pfalz in großer Vielfalt erhältlich ist, lässt die Spezialitäten auch längere Reisen überstehen und ist zu einem beliebten Mitbringsel geworden.

Unterdessen hat auch die gehobene Gastronomie den Trend entdeckt und nimmt ihn auf die Speisekarte, auch wenn der gestandene Landmetzger sich bei „Blutwurstpralinen“ und „Carpaccio vom Saumagen“ ein leichtes Lächeln nicht verkneifen kann. Immer beliebter wird auch der Saumagen-Wettbewerb, bei dem sich die Genusshandwerker der Region in ihrer Kunst messen und so der Spezialität zu neuem Stellenwert verhelfen.

Am Ende unserer Tour von der Metzgerei zu den Bauern halten wir auf einem Hügel, von dem man die Weinberge und den Pfälzerwald auf der einen und die Rheinebene mit der Rinderweide vor dem Dorf auf der anderen Seite sehen kann. Als wir aus dem Auto steigen, streckt Metzgermeister Adam seine Arme aus. „Alle träumen immer von Ibiza und Mallorca, doch ich brauch nichts anderes, das ist meine Heimat!“ Diese mit all ihren Traditionen und Geschmäckern zu erhalten ist das Ziel vieler Metzgermeister der Region. Es scheint als würden auch immer mehr Genießer diese ungemein geschmackvolle Welt für sich wiederentdecken.

Pfälzer Worschtwissen

Brodworscht

Auch wenn es sich so anhört hat diese Spezialität wenig mit Brot zu tun, sondern mehr mit dem Braten. Die Pfälzer Bratwurst ist etwas dicker als die gewohnte grobe Bratwurst die man auf den Grill legt. Die Pfälzer Brodworscht wird zunächst auf das kochende Sauerkraut gelegt und kurz gebrüht. Erst danach wird sie in der Pfanne goldbraun gebraten.

 

Gedriggelt Brodworscht

Pfälzer Bratwurst, die nicht im Topf oder in der Pfanne landet, wird gerne auf langen Stangen aufgehangen und luftgetrocknet.

Die Würste haben Ähnlichkeit mit Landjägern und sind perfekter Proviant für lange Wanderungen.

 

Lewwerworscht

Die Pfälzer Leberwurst ist als Hausmacher-Spezialität über die Grenzen der Region bekannt. Sie sollte nicht zu mager sein und eine klar erkennbare Majoran-Note besitzen. Sie schmeckt auf Brot, aber auch warm zusammen mit Kartoffeln, die in der Pfalz Grumbeere heißen.

Grieweworscht

Die Blutwurst ist in der Pfalz auch unter dem Namen Grieweworscht bekannt, da die kernigen weißen Würfel, die Grieben der Wurst ihr typisches Aussehen und charakteristischen Geschmack geben.

Hausmacher gibt es hier auch in Dosen, wenige Metzgereien haben sogar Dosenwurstautomaten, an denen es die Wurst auch außerhalb der Öffnungszeiten gibt: zum Beispiel bei der Metzgerei Süss in Weisenheim am Sand.

Fläsch- & Lewwerknepp

Anders als klassische Buletten oder Frikadellen werden die Pfälzer Knödel nicht gebraten, sondern gekocht in der Brühe gegessen. Die „Knepp” gibt es mit und ohne Leber. Gleich ist beiden, dass neben dem Wurstbrät, Sellerie, Zwiebeln und Brötchen verarbeitet werden.

Saumaache

Der Saumagen oder -maache ist die Pfälzer Spezialität und existiert in vielen regionaltypischen Varianten. Gleich bleibt stets die Mischung aus grober und feiner Wurstmasse, Kartoffelwürfeln und Gewürzen, die traditioneller Art in einen Schweinemagen, heute auch in Kunstdärme gefüllt und gebrüht wird.

Beim sogenannten Keschde-Saumagen werden die Kartoffeln im Winter durch Kastanien ersetzt. Saumagen wird frisch gebrüht aus dem Kessel oder in dicken Scheiben gebraten gegessen. Sogar einen internationalen Wettbewerb gibt es zum Saumagen. Gemessen wird sich in drei Kategorien: Traditionell, besondere Zutaten oder außergewöhnliche Form. www.saumagenwettbewerb.de 

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Hendrik Haase

redet und schreibt über Lebensmittel. Als Foodaktivist und Botschafter der Slowfood-Jugend geht es ihm um die Zukunft unserer kulinarischen Kultur, die kleinbäuerliche Kulturlandschaft und die Menschen, die sie für uns herstellen und erhalten.